Toleranzpatent für die Nichtkatholiken in Österreich ob der Enns (Oberösterreich)

Joseph II.

Linz, 13. Oktober 1781

Wir Joseph der Zweyte, von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, König in Germanien, Hungarn, und Böheim etc. Erzherzog zu Oesterreich, Herzog zu Burgund, und Lotharingen etc. etc.

Entbieten allen und jeden k. k. Landesfürstlich, auch privat- geistlich und weltlichen Dominien, Gültenbesitzern, Ortsobrigkeiten, Städten, Märkten, Stiftern, Klöstern, Seelsorgern, Gemeinden, und jedem Unserer treugehorsamsten Unterthanen, was Würde, Standes, oder Wesens selbe in Unserem Erzherzogthum Oesterreich ob der Enns seß- und wohnhaft sind, Unsere k. k. Iandesfürstliche Gnade, und geben euch gnädigst zu vernehmen.

Uiberzeugt eines Theils von der Schädlichkeit alles Gewissenzwanges, und anderer Seits von dem grossen Nutzen, der für die Religion, und dem Staat, aus einer wahren christlichen Tolleranz entspringet, haben Wir Uns bewogen gefunden den augspurgischen, und helvetischen Religions-Verwandten, dann denen nicht unirten Griechen ein ihrer Religion gemäßes Privat-Exercitium allenthalben zu gestatten, ohne Rücksicht, ob selbes jemal gebräuchig, oder eingeführt gewesen seye, oder nicht. Der katholischen Religion allein soll der Vorzug des öffentlichen Religions-Exercitii verbleiben, denen beeden protestantischen Religionen aber so, wie der schon bestehenden nicht unirt Griechischen aller Orten, wo es nach der hierunten bemerkten Anzahl der Menschen, und nach den Facultäten der Inwohner thunlich fällt, und sie Accatholici nicht schon bereits im Besitz des öffentlichen Religions-Exercitii stehen, das Privat-Exercitium auszuüben erlaubet seyn. Insbesondere aber bewilligen Wir

Erstens: denen accatholischen Unterthanen, wo hundert Familien existiren, wenn sie auch nicht im Orte des Betthauses, oder Seelsorgers, sondern ein Theil derselben auch einige Stunden entfernet wohnen, ein eigenes Betthaus nebst einer Schule erbauen zu dürfen, die weiter entfernten aber können sich in das nächste, jedoch immer in den k. k. Erblanden befindliche Betthaus, so oft sie wollen, begeben, auch ihre erbländische Geistliche die Glaubens-Verwandte besuchen, und ihnen wie auch den Kranken mit den nöthigen Unterricht, Seelen- und Leibestrost beystehen, doch nie verhindern unter schwerer Verantwortung, daß einer von einem, oder andern Kranken anverlangt katholische Geistliche beruffen werde.

In Ansehen des Betthauses befehlen Wir ausdrücklich, daß, wo es nicht schon anders ist, solches kein Geläut, keine Glocken, Thürme, und keinen öffentlichen Eingang von der Gasse, so eine Kirche vorstelle, haben, sonst aber wie, und von welchen Materialien sie es bauen wollen, ihnen freystehen, auch alle Administrirung ihrer Sakramenten, und Ausübung des Gottesdienstes sowohl in dem Ort selbst, als auch deren Uiberbringung zu den Kranken in den dazu gebörigen Filialen, dann die öffentlichen Begräbnisse mit Begleitung ihres Geistlichen vollkommen erlaubet seyn solle.

Zweytens: Bleibet denselben unbenommen, ihre eigenen Schulmeister, welche von den Gemeinden zu erhalten sind, zu bestellen, über welche jedoch Unsere hierländige Schul-Direction, was die Lehrmethode und Ordnung betrift, die Einsicht zu nehmen hat. Im gleichen bewilligen Wir

Drittens: denen accatholischen Inwohnern eines Ortes, wenn selbe ihre Pastorn dotiren, und unterhalten, die Auswahl derselben: wenn aber solches die Obrigkeiten auf sich nehmen wollen, so haben sie Obrigkeiten sich des Juris praesentandi allerdings zu erfreuen, jedoch behalten Wir Uns die Confirmation dergestalt bevor, daß, wo sich protestantische Consistoria befinden, diese Confirmationen durch selbe, und wo keine sind, solche oder durch die im Teschnischen, oder durch die in Hungarn schon bestehend protestantische Consistoria ertheilet werden, in so lang bis nicht die Umstände erfordern, in den Ländern eigene Consistoria zu errichten.

Faksimile des Toleranzpatents

Viertens: Die Jura Stollae verbleiben, so wie sie in Schlesien, dem Parocho ordinario vorbehalten.

Fünftens: Wollen Wir die Judicatur in den das Religionswesen der Accatholicorum betrefenden Gegenständen Unserer politischen Landesstelle mit Zuziehung eines, oder des andern ihrer Pastorn und Theologen gnädigst aufgetragen haben, von welcher nach ihren Religionssätzen gesprochen, und entschieden werden, hierüber jedoch der weitere Recours an Unsere politische Hofstelle freystehen solle.

Sechstens: Hat es von Ausstellung der bisher gewöhnlich gewesenen Reversen bey Heurathen von Seiten der Accatholicorum wegen Erziehung ihrer erzeugenden Kinder in der römisch-katholischen Religion von nun an gänzlich abzukommen, da bey einem katholischen Vater alle Kinder in der katholischen Religion sowohl von männlich, als weiblichen Geschlecht ohne Anfrag zu erziehen sind, welches als ein Prae rogativum der Dominanten-Religion anzusehen ist; wohingegen bey einem protestantischen Vater und katholischen Mutter sie dem Geschlecht zu folgen haben.

Siebentens: Können die Accatholici zum Häuser- und Güter-Ankauf, zu dem Bürgerund Meisterrechte, zu akademischen Würden, und Civil-Bedienstungen in Hinkunft dispensando zugelassen werden, und sind diese zu keiner andern Eidesformel, als zu der jenigen, die ihren Religions-Grundsätzen gemäß ist, weder zur Beywohnung der Processionen, oder Functionen der Dominanten-Religion, wenn sie nicht selbst wollen, anzuhalten. Es soll auch ohne Rücksicht auf den Unterscheid der Religion in allen Wahlen, und Dienstvergebungen, wie es bey Unserem Militari täglich ohne mindesten Anstand, und mit vieler Frucht geschiehet, auf die Rechtschaffenheit, und Fähigkeit der Competenten, dann auf ihren christlich, und moralischen Lebenswandel lediglich der genaue Bedacht genommen werden.

Solche Dispensationes zu Possessionen, dann zum Bürger- und Meisterrecht sind bey den unterthänigen Städten durch die Kreisämter, bey den königlichen, und Leibgeding-Städten aber da, wo Landes-Kämmerer sind durch diese, und wo sich keine befinden, durch Unsere Landeshauptmannschaft ohne aller Erschwerung zu ertheilen.

Im Fall aber bey den angesuchten Dispensationen sich Anstände, wegen welcher selbe abzuschlagen erachtet würden, ergeben sollten, ist hiervon jedesmal die Anzeige una cum motivis an Unsere Landeshauptmannschaft, und von selber zur Einholung Unserer höchsten Entschlüssung anher zu erstatten.

Wo es aber um das Jus Incolatus des höhern Standes zu thun ist, da ist die Dispensation nach vorläufig vernommener Landesstelle von Unserer boheimisch-österreichischen Hofkanzley zu ertheilen.

Gleichwie Wir nun durch diese allgemein festgesetzte Maaßregeln einzig und allein gesinnet sind, den gemeinschaftlichen Nutzen, und Aufnahm Unserer Staaten möglichst zu befördern, und Unsern getreuen Unterthanen die Ausübung jener bestimmten Religionen, zu den sie sich bekennen, einzuräumen.

So wird euch sammentlich Eingangs erwähnten Dominien, und Obrigkeiten gemessenest anbefohlen, daß ihr diese Unsere Anordnung nicht nur zu Jedermanns Wissenschaft gelangen lassen, sondern daß auch selber in keinen Punkt zuwider gehandlet werde, den sorgsamten Bedacht nehmen sollet.

Hieran geschiehet Unser höchster auch ernstlicher Wille, und Befehl. Gegeben in Unserer Hauptstadt Linz den 13. Octobr. 1781.

Christoph Graf und Herr v. Thürheim
Landeshauptmann
L. S.

Commissio Sacrae Caesareo-Regiae
Apostolicae Majestatis in Consilio
Georg Verlet v. Löwengreif, Secretarius

 

(Quelle: Barton, Im Zeichen der Toleranz [1981] 199)

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